Geldgeschichten aus der Hauptstadt
[00:00] Maximilian Klein:
Die Europäische Zentralbank hat erneut den Leitzins gesenkt, zum achten Mal seit dem vergangenen Sommer. Der Einlagensatz fällt von 2,25 auf 2,0 Prozent – Geld wird günstiger. Deshalb: Ein kreditfinanziertes Sofortprogramm, 500 Milliarden Euro, zehn Jahre Laufzeit. Eine der größten wirtschaftspolitischen Maßnahmen seit Jahrzehnten. Und das ist der eine große, schöne Bill.
Wenn wir auf die erste Jahreshälfte 2025 zurückblicken: Was ist aus Ihrer Sicht anders gekommen?
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[01:00] Dr. Michael Holstein:
Was sich vor allem geändert hat gegenüber dem, was wir am Jahresanfang dachten: Wir haben eine neue Bundesregierung. Die schnelle Entscheidung zur Schuldenbremse und das Investitionsprogramm – das war so nicht vorhersehbar. Und das beeinflusst die Konjunkturaussichten in Deutschland deutlich. Wir haben unsere Prognose entsprechend angepasst.
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[02:00] Maximilian Klein:
Gab es noch Punkte, die Sie ĂĽberrascht haben?
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[02:10] Dr. Michael Holstein:
Bei Trump gibt’s eigentlich jeden Tag Überraschungen. Das Thema Zölle war erwartbar, aber dass es so schnell eskaliert, hat überrascht. Und sein „Big Beautiful Bill“ ist noch nicht durch – da wissen wir nicht, wie sich das entwickelt. Seine Entlastungspolitik stockt, auch weil seine Maßnahmen schwer durchsetzbar sind.
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[03:30] Maximilian Klein:
Währenddessen scheint sich in Europa etwas zu bewegen – das Lieferketten-Gesetz wird teils zurückgedreht. Spüren Sie das in den Daten?
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[03:45] Dr. Michael Holstein:
Ja, langsam. Die Erkenntnis setzt sich durch, dass übermäßige Regulierung uns wirtschaftlich schadet. Die Bürokratie ist der größte Schmerzpunkt deutscher Unternehmen. Dass die EU da jetzt gegensteuert, ist überfällig.
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[05:00] Maximilian Klein:
Lassen Sie uns auf die deutsche Konjunktur blicken. Wo stehen wir?
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[05:10] Dr. Michael Holstein:
Die neue Bundesregierung bringt ein klares Programm mit: Investitionsförderung, ein sogenannter „Investitionsbooster“. Zwei große Blöcke: Verteidigungsausgaben und das Sondervermögen – letzteres über zwölf Jahre, mit genehmigter Schuldenaufnahme. Das schafft Perspektive für Unternehmen.
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[06:15] Dr. Michael Holstein (weiter):
Kurzfristig sehen wir aber: Das zweite Quartal dürfte negativ ausfallen. Das dritte bleibt schwach. Erst gegen Jahresende und vor allem in 2026 erwarten wir wieder Wachstum – über ein Prozent. Und die Stimmung hellt sich bereits auf, z. B. beim IFO-Geschäftsklimaindex.
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[07:30] Maximilian Klein:
Ein Teil des Programms sind Steuererleichterungen und neue Forschungsförderung. Was davon entfaltet wirtschaftlich die größte Wirkung?
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[07:45] Dr. Michael Holstein:
Besonders wirksam: die Sofortmaßnahmen bei Abschreibungen. Unternehmen gewinnen Liquidität. Ab 2028 kommt eine stufenweise Körperschaftsteuer-Senkung. Natürlich profitieren vor allem profitable Unternehmen, aber der Maßnahmenmix stimmt.
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[08:45] Maximilian Klein:
Also ein klarer wirtschaftsfreundlicher Kurs?
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[08:50] Dr. Michael Holstein:
Teilweise ja. Aber es fehlt an Strukturreformen. Viele Ideen hängen noch in Arbeitsgruppen. Bürokratieabbau, Rente – da braucht es mehr Tempo.
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[09:30] Dr. Michael Holstein (weiter):
Zur Rente: Heute fließen über 100 Milliarden aus Steuermitteln in die Rentenkasse. Und es kommen weitere Ausgaben dazu – Rente mit 63, Mütterrente. Das wird langfristig schwierig.
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[10:15] Maximilian Klein:
Und parallel: massive Verteidigungsausgaben. Wie wirkt sich das auf den Haushalt aus?
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[10:30] Dr. Michael Holstein:
Der Verteidigungsetat soll von 2 auf 3,5 Prozent des BIP steigen. Das ist enorm. Ein Teil wird durch ein geöffnetes Sondervermögen abgedeckt – also kreditfinanziert. Aber: Die Ressourcen müssen trotzdem da sein. Arbeitskräfte, Produktionskapazitäten, Baumaterialien – das wird spürbar.
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[11:45] Maximilian Klein:
Gibt es konkrete Risiken für Verdrängungseffekte bei privaten Investitionen?
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[11:55] Dr. Michael Holstein:
Ja, definitiv. Wenn der Staat massiv Schulden macht, steigen langfristig die Zinsen. Private Investoren werden verdrängt. Besonders bei Bau und Industrie kann das zum Problem werden.
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[12:30] Maximilian Klein:
Lassen Sie uns über den Nahen Osten sprechen – Stichwort Straße von Hormus.
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[12:40] Dr. Michael Holstein:
Ein heikles Thema. Sollte es zu einer Blockade kommen, schießt der Ölpreis über 100 Dollar. Das wirkt inflationsverstärkend, weltweit. Die EZB würde zunächst nicht reagieren – aber der Konsum würde leiden. Kaufkraft geht verloren, Unternehmen geben höhere Kosten weiter. Ein klares Dämpfungsszenario.
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[14:00] Maximilian Klein:
Zurück zu den USA: Die dreiwöchige Zollpause läuft aus. Was erwarten Sie?
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[14:10] Dr. Michael Holstein:
Wir gehen davon aus, dass die aktuellen Zölle bleiben. Aber Trump ist unberechenbar. Eine Erhöhung auf 20 Prozent ist denkbar – vor allem gegen Europa. Das würde den Handel belasten.
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[15:00] Maximilian Klein:
Welche Risiken sehen Sie fĂĽr Q3 und Q4?
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[15:10] Dr. Michael Holstein:
Erstens: Zölle. Zweitens: Ölpreise. Drittens – und das wird kaum diskutiert – die Stabilität des US-Finanzsystems. Trotz boomender Konjunktur steigen in den USA Defizit und Gesamtverschuldung enorm. Die Märkte werden nervöser. Selbst der Dollar als sicherer Hafen wackelt. Das könnte sich auf Kapitalmärkte weltweit auswirken.
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[16:15] Maximilian Klein:
Lassen Sie uns zum Schluss auf die Zinspolitik schauen.
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[16:20] Dr. Michael Holstein:
Die EZB ist mit dem Einlagezins bei 2 Prozent – tiefer geht kaum. Ein weiterer Schritt vielleicht nach der Sommerpause. Die US-Notenbank hingegen hält sich zurück – trotz politischem Druck von Trump. Zwei Senkungen erwarten wir dort noch bis Jahresende.
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[17:00] Dr. Michael Holstein (weiter):
Die Kapitalmarktzinsen laufen seitwärts. Aber: Durch den weltweiten Schuldenaufbau dürften sie in den nächsten zwölf Monaten leicht steigen – auch in Deutschland. Das wird Investitionen weiter verteuern. Besonders Immobilienkredite bleiben teuer.